Es läuft nicht rund bei Cariad

Herbert Diess macht Software-Entwicklung zur Chefsache

Es läuft nicht rund bei Cariad: Herbert Diess macht Software-Entwicklung zur Chefsache
Erstellt am 9. Mai 2022

VW-Konzernchef Herbert Diess hat bei der Software-Division Cariad das Ruder übernommen. Das Risiko ist hoch – sowohl für den Autobauer als auch für Diess selbst. Ein Scheitern könnte das Ende einer Ära bedeuten. Als Cariad Anfang 2020 aus dem Konzerntaufbecken gehoben wurde, waren die Ambitionen groß. Eine schlagkräftige Softwareschmiede solle entstehen, bei der Tausende versierte Ingenieure Programme und Applikationen für den gesamten VW-Konzern liefern. Schließlich sei die Software entscheidend für das autonome Fahren und ein wichtiges Unterscheidungsmerkmal der Automobile der Zukunft. Da wollte man in bester VW-Manier sein Schicksal in die eigene Hand nehmen und sich nicht abhängig von Google oder Apple machen. Nicht kleckern, sondern klotzen lautete das Motto.

Zwei Jahre später sind die Töne aus Wolfsburg leiser geworden. Dafür die Kritik an Cariad (übrigens eine Wortkreation aus Car und I am digital) umso lauter. Denn bei der VW-Software hapert es nach wie vor. Das Infotainment im VW Golf 8 war zum Verkaufsstart eine Ansammlung von IT-Baustellen, Bildschirme froren ein oder versagten den Dienst komplett, beim elektrischen Zukunftsmodell VW ID.3 lief es lange Zeit nicht viel besser. Währenddessen entwickelte sich der Chefsessel bei Cariad zu einem Schleudersitz: Christian Senger, der die Sparte aufgebaut hatte, musste die Schlüssel an Dirk Hilgenberg übergeben. Die Oberaufsicht hatte zunächst Audi-Chef Markus Duesmann inne, mittlerweile hat Konzern-Boss Herbert Diess das Ruder selbst in die Hand genommen. Wenn etwas zu Chefsache wird, dann liegt einiges im Argen.

Das Hauptproblem ist, dass man zu viel auf einmal will. Cariad soll die Software-Zentrale des Konzerns sein und die Produkte aller Marken zu topmodernen rollenden Computern machen. Wer auf vielen Hochzeiten tanzt, verzettelt sich gerne. Cariad-Ingenieure berichten von Hektik und unorganisiertem Arbeitsabläufen. „Wir fliegen auf Sicht. Es kann sein, dass ich morgen schon wieder an einem anderen Projekt arbeiten muss“, erzählt einer. Es gibt einfach zu viele Brandherde, die Cariad löschen muss. Dazu kommen, dass in einem Großkonzern wie VW jede Marke ihre eigene Agenda fährt und erst mal den eigenen Erfolg im Auge hat. So dürfte es Porsche relativ egal sein, ob Audi seine Produktplanung halten kann oder nicht, auch wenn beide bei der Premium Plattform Electric (PPE) notgedrungen zusammenarbeiten. Jeder ist sich selbst der nächste, zumal der eine oder andere Markenchef im Volkswagenkonzern noch weiter auf der Karriereleiter nach oben steigen und erst mal seinen Laden sauber halten will.

Trotz der 5.000 Beschäftigten liefert das Konzept der alles könnenden Eierlegenden-Soft-und-Wollmichsau nicht die erwünschten Ergebnisse. „Eine eigenständige Organisation, die sich ausschließlich auf die neue revolutionäre Fahrzeug- und Software-Architektur konzentriert, würde effektiver funktionieren. Diesen Weg hat beispielsweise Toyota gewählt. Der Engpass und die daraus entstehende Ineffektivität entstehen dadurch, dass für aktuelle Serienanläufe und für die neue Architektur die gleichen Experten gebraucht werden“, sagt Jan Becker, CEO von Apex.AI, der selbst Automobilsoftware entwickelt.

Offenbar hat man in Wolfsburg die Aufgabe, seine eigene Software, Betriebssysteme und Apps zu entwickeln, völlig unterschätzt. „Wir müssen hier aber feststellen, dass der Zugriff auf Plattformen über den Kauf fortschrittlichster „Start-up“-Unternehmen ein wirtschaftlich günstiger, entwicklungstechnisch sehr einfacher und erfolgreicher Schritt der beiden führenden amerikanischen Automobilhersteller war. Der Schritt einiger deutscher Hersteller – unter höchstem Zeit- und Erfolgsdruck vom Auftraggeber herkömmlicher Software zum Entwickler komplexer KI zu werden, hat sich als sehr groß erwiesen“, analysiert Klaus Schmitz, Partner der Automotive Practice der Unternehmensberatung Arthur D. Little.

Ein Mangel an Selbstbewusstsein war noch nie Herbert Diess‘ Problem. Der drahtige Manager will dafür sorgen, dass Cariad endlich Resultate liefert. Sollte es mit Cariad nicht endlich vorangehen, könnten ganze Produktplanungen ins Wanken geraten. Ein gefährlicher Strudel, der nicht nur Diess nach unten ziehen dürfte, sondern den ganzen Konzern. Erste Auswirkungen sind bereits erkennbar. Die Einführung der Cariad-Software verschiebt sich nach hinten. Der Audi-A8-Nachfolger Audi Grandsphere, der Anfang 2025 auf den Markt kommen soll, soll ein Technikfeuerwerk abbrennen, darunter ein revolutionäres Infotainment haben. Die Software dafür soll zu großen Teilen von Cariad kommen. Aktuell ist zweifelhaft, ob die IT-Spezialisten die hochtrabenden Pläne erfüllen können.

In einem Gewaltakt will Herbert Diess die anvisierten Ziele noch erreichen und holt sich dafür Hilfe ins Haus. Für ein Alpha-Tier wie dem Konzernchef, der alles in Selbstregie lösen will und für den Abhängigkeiten bei entscheidenden Fahrfunktionen ein Greuel sind, kommt das schon einem Gang nach Canossa gleich. Aber die Zeit drängt. Also springt der amerikanische Chiphersteller Qualcomm mit ins wackelnde Boot und liefert für die skalierbare Cariad-Softwareplattform sogenannte System-on-Chips (SoC). „Maßgeschneiderte SoCs sind für Cariad entscheidend, um wettbewerbsfähige automatisierte Fahrfunktionen für alle PKW-Marken des Volkswagenkonzerns bereitzustellen“, heißt es in einer Pressemitteilung. Es scheint, als habe man in Wolfsburg eine Lektion gelernt.

Dennoch geht Herbert Diess mit der Übernahme von Cariad ein großes Wagnis ein, denn er verknüpft sein Schicksal mit dem Erfolg der Softwaresparte. Ein Scheitern würde dem ohnehin schon angekratzten Status des Managers einen weiteren Makel hinzufügen und die Diskussionen im Aufsichtsrat befeuern, ob man den 2025 auslaufenden Vertrag verlängern oder sich nach einer neuen Lösung umschauen sollte. Vor allem die Porsche-Familien beobachten Diess‘ Agieren mit Argusaugen.

Wolfgang Gomoll; press-inform

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