30 Jahre Corrado - Der verkannte Klassiker

Unterwegs im VW Corrado G60 – inklusive Videokaufberatung

30 Jahre Corrado - Der verkannte Klassiker: Unterwegs im VW Corrado G60 – inklusive Videokaufberatung
Erstellt am 8. November 2018

Ein weiteres Volkswagen-Modell feiert in diesem Jahr sein H-Kennzeichen, der Corrado, doch zu einem Klassiker ist das Coupé schon länger gereift, von dem im Karmann-Werk in Osnabrück gerade einmal 97.521 Exemplare vom Band liefen. Für einen Hersteller wie Volkswagen, der meist Millionen Exemplare eines Modells an den Kunden bringt, war das schon fast eine Kleinserie. Als die ersten Exemplare im Herbst 1988 beim Händler standen, war der Corrado das teuerste Modell im Verkaufsprogramm und die Benchmark der Marke. Weit über 40.000 DM waren für das VW-Coupé fällig.

Dafür bekamen Käufer aber mehr als nur einen typischen Volkswagen, denn der Corrado war in Sachen Design und Technik „State of the Art“. Ursprünglich als Scirocco-Nachfolger geplant, erkannte man schnell, dass der Corrado, der während seiner Entwicklung noch Taifun genannt wurde, nicht zum Preis der zweiten Generation Scirocco zu verkaufen war. Zu viel anspruchsvolle Technik und eine für die damalige Zeit mehr als üppige Serienausstattung trieben die Produktionskosten in die Höhe.

Damals das teuerste Modell von Volkswagen

Bei Volkswagen disponierte man kurzerhand um, und ließ den Scirocco parallel zur Corrado-Markteinführung im Herbst 1988 bis ins Jahr 1993 weiter vom Band laufen. Dieser Marketingzug sollte auch einen Basispreis von 42.500 D-Mark im Jahr 1988 rechtfertigen, sorgte jedoch dafür, dass der Corrado nach anfänglichem Boom bei den Händlern wie Blei im Showroom stand. Haben wollte ihn jeder, bezahlen aber konnten und wollten ihn zu wenige.

Wer sich dennoch für den 2+2-Sitzer entschied, bekam einen Wagen, der zur damaligen Zeit seines Gleichen suchte. Steckten im GTI seinerzeit noch 108 PS, schmetterte der Corrado G60 satte 160 PS auf Straße. Dabei steht die „60“ in der Bezeichnung des G-Laders nicht für die Motorleistung, sondern für die Kammertiefe des mechanisch angetriebenen Verdichters. Und der hatte es mit seinen filigranen Verdichterspiralen im Inneren in sich und brachte die Fertigung in Großserie an ihre Grenzen. Jedoch sorgte gerade der G-Lader für einen einzigartigen Sound und für ein stattliches Drehmoment von 225 Nm, die bei verhältnismäßig „frühen“ 3.800 U/min anlagen.

Ein mechanischer Lader für mehr Leistung und Drehmoment

Bis zu 224 Stundenkilometer waren so möglich. Damit die Aerodynamik des kurzen Stummelhecks dem Coupé dabei keinen Strich durch die Rechnung machte, setzte man auf ein weiteres technisches Highlight, einen elektrischen Heckspoiler. Ab 120 Stundenkilometer schiebt sich dieser in den Wind und sorgte in den 90er Jahren für faszinierte Blicke und Respekt bei den Verkehrsteilnehmern hinter dem VW-Coupé.

Kein Volkswagen war derzeit schneller

Doch genug der technischen Finessen vergangener Zeiten. Wir wollen fahren, Corrado fahren, und zwar genauso wie vor 30 Jahren! Gute und originale Corrado sind selten geworden. Zwar gibt es sie, dann jedoch nur zu entsprechend hohen Preisen. Der Tuning-Boom Mitte und Ende der 90er Jahre ließ den Corrado zum idealen „Golf-2-Motorspender“ werden. An unserem Exemplar ging dieser Kelch zum Glück vorbei, schließlich befindet er sich in den Händen von Volkswagen Classic und hat gerade einmal 32.800 Kilometer auf dem Tacho. Technisch unterscheidet sich das 1991er Modell nicht vom 88er Exemplar. Lediglich die klassischen Sebring-Felgen mit dem Kleeblattdeckel in der Mitte sind nicht verbaut. Richtige Modelländerungen folgten ohnehin erst ab Mitte 1991 mit dem Modelljahr 1992.

Wer dazu mehr erfahren will, schaut sich am besten unsere Ausgabe VAU-MAX.tv Klassik zum Corrado auf Youtube an.

Los geht die Zeitreise!

Frisch poliert steht der flashrote G60 im VW-Depot. Nur via Zugangskarte kommt man überhaupt aufs Gelände außerhalb Wolfsburgs und in die Fußbaldfeld-große Halle, in der die VW-Schätze der letzten 50 Jahre lagern. Als erstes folgt unweigerlich der Blick unter die flache G60-Motorhaube, auf den sauberen 4-Zylinder, der am Tag der Erstauslieferung wohl kaum herausgeputzter war als heute.

Nachdem die Batterie angeklemmt war und wir den Zündschlüssel in die Hand gedrückt bekamen, konnte es eigentlich losgehen. Wir schalteten jedoch erst einmal einen Gang zurück und nahmen den Zweitürer rundum in Augenschein. Direkt fiel der kleine Riss im Frontspoiler auf, denn das weit nach unten gezogene Kunststoffteil musste immer viel ertragen. Dabei liegt der Corrado serienmäßig alles andere als tief und sportlich. Fast könnte man meinen, es wäre ein Schlechtwegefahrwerk verbaut, derart groß ist der Abstand zwischen den Reifen und Radläufen. Weitere Mängel ließen sich nicht ausmachen, also nichts wie rein in das gute Stück.

Ein Sound, wie ihn nur ein G-Lader erzeugt

Einmal in einem Volkswagen gesessen, findest Du Dich immer zurecht. Kaum anders verhält es sich hier. Das Armaturenbrett im Style des Passat wirkt etwas bieder, verglichen mit dem des Golf aber dennoch ein ganze Nummer moderner. Einen digitalen Kilometerzähler oder die extragroße Multifunktionsanzeige konnte der Golf freilich nie bieten. Mit dem ersten Klick des Zündschlüssels beginnt der elektrische Bremskraftverstärker mit seinem integrierten ABS wie wild zu summen an, um die richtige Bremskraft aufzubauen. Ein Zündschlüsselklick weiter und der 1.800er Motor springt an und pegelt sich nach zwei Sekunden im Leerlauf ein.

Erstaunlich leicht lässt sich die hydraulische Kupplung durchtreten, der erste Gang flutscht sauber hinein, was beim verbauten Getriebe mit Seilzugbetätigung nicht immer der Fall war. Dafür aber stellt sich die Servolenkung etwas quer. Die ist zwar immer serienmäßig vorhanden, aber was die Übersetzung und Verstärkung angeht, ist im Stand alles andere als von der sprichwörtlichen Lenkhilfe zu spüren. Zum Glück fällt das Lenkrad im XL-Format aus.

Auch nach 30 Jahren ist der Corrado alltagstauglich

Langsam rollen wir aus der Halle und direkt weiter auf die Landstraßen rund um Wolfsburg. Sobald sich die Räder drehen verliert die Servolenkung ihre Härte und wirkt fast schon sportlich direkt. Nach ein paar Kilometern zeigt die MFA-Anzeige dann erstmals keine Striche mehr, sondern 50 Grad Öltemperatur an. Ein paar Grad mehr Wärme sollen dem G60 aber noch gegönnt werden. Dann bei 80 Grad will ich es wissen und trete das Gaspedal mit seinem Seilzug durch. Augenblicklich setzt der VW Corrado diesen Befehl in Bewegung um, den notwendigen Ladedruck liefert der mechanische Lader ja schon im Leerlauf. Und so schiebt der G60 den Corrado überraschend zügig vorwärts. Schnell in den nächsten Gang und schon schiebt sich der Heckspoiler in den Rückspiegel, was klar macht, 120 km/h sind erreicht.

Untermalt wird das Ganze von einem einzigartigen Motorsound, wobei ich das heißere Jaulen des G-Laders irgendwie viel lauter in Erinnerung habe. Das liegt aber wohl daran, dass hier kein größeres Laderad verbaut ist, was den Lader schneller drehen lässt, umso mehr Ladedruck und Leistung zu erzeugen. Das Motorengeräusch und der Klang des Laders passen bei jeder Drehzahl irgendwie perfekt zusammen. Kaum zu glauben, dass die Technik jetzt 30 Jahre alt ist, so geschmeidig und sauber läuft der Motor und liefert in jeder Drehzahl ein ausreichendes Drehmoment.

Zu gut kann ich mir vorzustellen, mit diesem Corrado auch einen Trip zum GTI-Treffen an den Wörthersee zu absolvieren, denn was das Fahrwerk angeht, ist der Corrado gerade auf Komfort und Langstreckentauglichkeit getrimmt. Die langen Federwege schlucken Unebenheiten auch heute noch sauber weg. Klar bleibt dabei der sportliche Anspruch des Coupés etwas auf der Strecke, aber so ist es halt, wenn man auf Golf-Technik baut. Dafür erwartet einen kein zickiges Fahrverhalten, die McPherson-Federbeine und Verbundlenker-Hinterachse machen den Corrado, gestern wie heute, zum Volks-Coupé.

Viele weitere Bilder zum VW Corrado G60 gibt es in den Fotostrecken.

53 Bilder Fotostrecke | 30 Jahre Corrado - Die Bilder zum Volkswagen-Klassiker: Unterwegs im VW Corrado G60 (1991) #01 #02

14 Bilder Fotostrecke | 30 Jahre VW Corrado // Fotos & Copyright: VOLKSWAGEN AG: Klassische Bilder zum VW Corrado von 1988 bis 1995 #01 #02

2 Kommentare

  • rasender-roland

    Rasender-roland

    Neben dem Golf II und Golf IV für mich einer der wirklich zeitlosen VW.
  • www.VW-Skoda.de

    Www.VW-Skoda.de

    Ein sehr schöner Artikel über ein echt tolles Fahrzeug. Man kann die Fahreindrücke schon fast selber nachvollziehen :-)

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