Mysteriöses Wirrwarr um Winterkorn-Äußerungen bei Handelsblatt Online - Das Internet vergisst nichts...!

Mysteriöses Wirrwarr um Winterkorn-Äußerungen bei Handelsblatt Online - Das Internet vergisst nichts...!:
Erstellt am 30. September 2011

Am 14. Juli 2011 geisterte ein Artikel von Handelsblatt Online mit der Überschrift „Die Brandstifter von Wolfsburg“ durch die digitalen Depeschen-Dienste und etliche Foren. Darin äußerte sich VW-Chef Martin Winterkorn orakelnd zur Zukunft des angeschlagenen Mitbewerbers Opel. Das Winterkorn-Statement war hochbrisant – und urplötzlich wieder aus dem Netz verschwunden. Wer den entsprechenden Link klickte, erhielt statt des VW-kritischen Artikels lediglich den dürren Hinweis „Die Seite wurde nicht gefunden“. Hm, sehr mysteriös. Dabei ist die Story, welche „Handesblatt Online“ seinerzeit veröffentlichte, um ihn hernach wieder aus dem Web verschwinden zu lassen, wirklich lesenswert.

"Die Brandstifter von Wolfsburg" im O-Ton

Ursprünglich stand dort nämlich Folgendes geschrieben:



„Es ist ein ungeschriebenes Gesetz und zwar über fast alle Branchen hinweg: man spricht nur hinter vorgehaltener Hand über Wettbewerber, aber nicht öffentlich in den Medien. Alles andere gilt als schlechter Stil, außer, man sitzt in Wolfsburg. Denn dort sitzen offensichtlich die größten Plaudertaschen der Autoindustrie. Egal ob Porsche, Alfa Romeo oder Hyundai, gerne und oft meldet sich die Konzernspitze oder besser gleich VW-Patriarch Ferdinand Piech höchstpersönlich zu Wort. So wie jetzt auch wieder bei Opel.



In einem Pressegespräch sinniert niemand geringeres als Konzernchef Martin Winterkorn über die Zukunft des deutschen Wettbewerbers Opel, ob dieser vielleicht für den koreanischen Autobauer Hyundai eine Option wäre, ob sich die deutsche Tochter von General Motors überhaupt aus dem Konzernverbund herauslösen ließe und so weiter und so fort. Dass GM darauf jetzt höchst verschnupft reagiert und öffentlich mit einer Presserklärung Winterkorn attackiert und sich jede weitere Einmischung verbittet, ist in dieser Form ungewöhnlich, bemerkenswert, verständlich und richtig zugleich.



Denn Winterkorns Äußerungen kommen für GM zur Unzeit: Kaum hat sich die interne wie öffentliche Erregung über einen möglichen Verkauf von Opel beruhigt, wirbeln die Äußerungen des VW-Chefs wieder Staub auf - denn davon kann man angesichts der jüngsten Ereignisse bei Opel wohl ausgehen. Würde man nun Winterkorn Absicht unterstellen wollen, dann hätte er den Zeitpunkt also klug gewählt. Das wäre nicht das erste Mal.



Als Ferdinand Piech etwa über eine mögliche Akquisition von Alfa Romeo nachdachte, da steckte der Fiat-Konzern mitten in der Übernahme von Chrysler und hatte so gesehen eigentlich schon mehr als genug zu tun, als sich nebenbei noch mit Gerüchten um Alfa Romeo zu beschäftigen, die über lange Zeit hinweg von Piech immer wieder am Köcheln gehalten wurden. Und Hyundai? Die Koreaner stilisiert ausgerechnet der kraftstrotzende VW-Konzern - der permanent in die Welt hinausposaunt, bald zum größten Autobauer der Welt aufzusteigen - zum Angstgegner schlechthin. Brutale Methoden, hemmungsloses Kopieren wirft VW Hyundai vor. Die ganze Tirade mündet in dem Fanal, dass Hyundai überall auf der Welt angreife. Und Volkswagen? Verkauft VW seine Autos nur in Deutschland? Lächerlich.



Übrigens genauso lächerlich wie die permanenten Ankündigungen der VW-Tochter Audi, die deutschen Konkurrenten von BMW und Daimler als größte Premium-Marke zu überholen. Da möchte man Audi-Chef Rupert Stadler nur zurufen: Nicht reden, machen! Das gilt übrigens auch für die hoffentlich baldige Verwirklichung des Markenclaims "Vorsprung durch Technik" - einen Hybridantrieb hat Audi bis heute nicht im Programm, ein Elektroauto wie General Motors mit dem Volt erst recht nicht. Dass ein angeblich nur für den internen Gebrauch verwendeter Werbe-Trailer für den A6 Avant dem erfolgreichen Chrysler-Werbefilm "Born of Fire" verdächtig stark ähnelt, passt da fast schon ins Bild.



Keine Frage: Das Automobilgeschäft ist kein Streichelzoo und das Kämpfen mit harten Bandagen gehört zum Leben dazu. Niemand weiß das besser als General Motors selbst. Und trotzdem: Gerade ein so erfolgreicher Autobauer wie Volkswagen hat öffentliches Zündeln schlicht nicht nötig - und sollte sich stattdessen lieber um die eigenen Baustellen kümmern. Von denen gibt es bei VW nämlich genug: die stotternde Kooperation mit, die trotz zahlreicher Neuausrichtungen immer noch defizitäre Tochter Seat, das US-Geschäft, die Lastwagen-Hochzeit von und MAN, um nur einige zu nennen.“

Der Artikel ist verschwunden, aber Fragen bleiben

Starke Worte. Da hat die Redaktion des Handelsblatt Online wahrhaftig kein Blatt vor den Mund genommen. Ob die Wolfsburger Chefetage ihrerseits Schaum vor demselben beim Lesen des Artikels gehabt haben dürfte, läßt sich nur vermuten. Fakt ist: Der Artikel ist aus den Seiten von Handelsblatt Online verschwunden. Verlinkungen im Web, die auf den Artikel verweisen, münden mittlerweile ins Leere. Warum? Statt zu spekulieren, fragten wir lieber bei Handelsblatt Online direkt nach. Mit einer Email an die Chefredaktion:



„Am 14.07.2011 veröffentlichten Sie in Ihrem Portal den Artikel "die Brandstifter von Wolfsburg". Dieser Artikel ist nun allerdings nicht mehr auf Ihrem Server auffindbar. Handelt es sich um einen technischen Fehler? Oder wurde der Text wieder herausgenommen? Wenn ja, gab es dafür inhaltlich/sachliche Gründe?“



Die Antwort der Chefredaktion ließ nicht lange auf sich warten und kam quasi postwendend. Darin schreibt der stellvertretende Chefredakteur von Handelsblatt Online, Florian Kolf:



„Dass der Artikel nicht mehr bei Handelsblatt Online zu sehen ist, hat keine technischen Gründe. Die Chefredaktion hat den Artikel aus inhaltlichen Gründen wieder zurückgezogen.“



Aha, „inhaltliche Gründe“. Ja welche denn? Jetzt ist unserer Neugier so richtig geweckt. Und also fragen noch mal bei Florian Kolf nach und bitten via Mail um Erläuterung:



„War der besagte Artikel nicht korrekt recherchiert und / oder hat Herr Winterkorn diese Aussagen gar nicht getätigt bzw. wurde der Artikel von Volkswagen aus diesen oder anderen Gründen kritisiert? Können Sie die inhaltlichen Gründe bitte näher erläutern?“



Doch diesmal schweigt Handelsblatt Online. Unser Postfach bleibt leer. Bis heute. Das Schweigen und die Stille sorgen für einen luftleeren Raum, der sich statt mit Antworten notwendigerweise mit Fragezeichen und Spekulationen füllt: Wenn der Artikel nicht sauber recherchiert war, warum wurde er dann nicht - der journalistischen Sorgfaltspflicht gehorchend - entsprechend korrigiert? Warum ist er statt dessen aus dem Netz verschwunden? Warum hüllt sich die Chefredaktion hierzu in Schweigen? Hat die Tonart des Artikels Herrn Winterkorn, bekanntermaßen selbst nicht eben zimperlich in seiner Wortwahl – vielleicht nicht gefallen? Schon wird im Netz diskutiert, ob hier ein großer Werbekunde möglicherweise sein ganzes Gewicht in die Waagschale geworfen haben könnte, damit der Verlag einen VW-kritischen Artikel wieder vom Server nimmt.



Zum Glück vergißt das Internet nichts. So wird der für Herrn Winterkorn und VW wenig schmeichelhafte Artikel in der Welt bleiben. Und mit ihm die Fragen, die mit dem Versuch, den Text aus dem digitalen Gedächtnis zu tilgen, unweigerlich verknüpft sind. Denn auch, wenn wir die Artikel nach Willen von Handelsblatt Online (und VW?) nicht mehr lesen sollen, gilt doch nach wie vor der Grundsatz: „Fragen wird man ja wohl noch dürfen!?“

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