Der Stiefsohn

Volkswagens Vorstoß in die Mittelklasse: Der VW K70 im Fahrbericht

Der Stiefsohn: Volkswagens Vorstoß in die Mittelklasse: Der VW K70 im Fahrbericht
Erstellt am 3. September 2020

Anfang der 1970er-Jahre wagte Volkswagen den Vorstoß in die Mittelklasse. Der K70 stellte die VW-Welt technisch auf den Kopf und ebnete den Weg für den Golf und Passat, war aber nie wirklich geliebt.

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Herrlich diese Zeitreise in dieser goldenen Maschine. Der Name des Gefährts: Volkswagen K70. Aha, jetzt klingelt es sicher bei dem einen oder anderen. Das ist doch jene Mittelklasselimousine, die von VW ein bisschen stiefmütterlich behandelt wurde. Doch im Moment schieben wir solche Gedanken einfach auf die Seite, öffnen die güldene Pforte und sinken auf die Stoffsitze. Sofort werden Kindheitserinnerungen wach. Als man als Dreikäsehoch auf der Rückbank im Sommer dem Meer entgegenrollte. Jetzt haben wir das Steuer in der Hand – endlich.

Auch nach 50 Jahren ein toller Cruiser

Der blaue Plastik-Lenkradschutz passt zum Interieur und fühlt sich schon beim Anfassen deutlich weicher an, als die sonst üblichen Plastiklenkradkränze jener Zeit. Dass dieser Überzug gerne mal schweißtreibend ist, sind Kleinigkeiten. Jetzt haben wir einfach nur Spaß, denn der VW K70 lässt sich auch 50 Jahre, nachdem er aus dem Taufbecken gehoben wurde, entspannt bewegen. Wir drehen den Zündschlüssel und steigen gleichzeitig auf das Gas. Rasselnd erwacht der 75-PS-Vierzylinder vor uns zum Leben. Rein mit dem ersten Gang, Kupplung kommen lassen und es geht los. „Die Kupplung kommt ziemlich spät“, hatte der freundliche VW-Mann noch gewarnt. Doch so spät, dass man gefühlt das Knie des Beines vor dem Brustbein hat, damit hatten wir nicht gerechnet.

„Ein neuer Volkswagen, anders als alle bisherigen“

Auch die Gangwechsel mit dem Spazierstock als Gangknüppel dauern beim Vierganggetriebe länger als heutzutage gewohnt. Sobald man sich daran gewöhnt hat, fährt es sich ganz entspannt mit dem 50-jährigen Herrn im besten Alter. Immerhin tragen einen die 75 PS bis auf Tempo 148 km/h. VW wollte Anfang 1970er-Jahre ganz neue Wege gehen. „Ein neuer Volkswagen, anders als alle bisherigen“ – so lautete der erste Satz der Pressemappe, mit der das neue Gefährt der „gehobenen Mittelklasse“ vorgestellt wurde. Genau genommen ist das Auto mit der internen Bezeichnung „Typ 48“, die man auch auf der Plakette im Motorraum findet, kein „echter“ VW, sondern wurde bei NSU in Neckarsulm als Lückenfüller zwischen dem NSU Prinz 4 und dem Wankelmotor-Flaggschiff Ro 80 entwickelt. Deswegen steht auch das „K“ im Namen für Kolbenmotor. Doch als NSU von der Auto Union beziehungsweise von Audi geschluckt wurde, schnappten sich die Wolfsburger das neue Auto und stampften eigens dafür in Salzgitter eine neue Fabrik aus dem Boden. Allerdings war das keine Liebesgeburt. VW hatte den 411 auf dem Markt und Audi den Audi 100 – die Wolfsburger fürchteten eine Kannibalisierung. Doch der neue VW-Chef Kurt Lotz sprach ein Machtwort und wusste, dass man nur in breiter Front eine Chance gegen Opel und Ford haben würde.

Der K70 war eine Revolution

Die in der Pressemitteilung angekündigte Revolution fand vor allem unter der von Designchef Claus Luthe, der später bei Audi und BMW Karriere machte, zeitlos-schnörkellos entworfenen Karosserie statt. Denn der K70 läutete eine neue Frontantriebsära ein und war der Vorreiter für Autos, wie den VW Golf oder Passat. Statt eines luftgekühlten Vierzylinder-Boxermotors im Heck, trieb nun ein 1,6 Liter wassergekühlter Vierzylindermotor die viertürige Limousine an, der um 32 Grad schräg nach rechts geneigt über der Vorderachse eingebaut war. Das Aggregat war ein Kurzhuber, hatte eine obenliegende Nockenwelle, verfügte über eine fünffach gelagerte Kurbelwelle und wurde von einem Doppel-Flachstromvergaser beatmet. Das erklärt auch die Drehfreudigkeit des Aggregats, die bis 6.250 U/min (roter Bereich des Drehzahlmessers) andauerte.

Ein Raumwunder für Familie und Freizeit

Das Fahrwerk mit McPherson Vorderachse und zwei innenliegenden Scheibenbremsen vorne und Simplex-Trommelbremsen hinten war damals topmodern. Allerdings schlug jeder Mechaniker die Hände über dem Kopf zusammen, sobald man einen Bremsen-Service verlangte, denn der Wechsel der vorderen Bremsen war sehr arbeitsintensiv. Zum Fahrwerk kamen Schraubenfedern, und besonders groß dimensionierte Stoßdämpfer bügelten Bodenunebenheiten aus. Platz war beim Entwurf des K70 ein wichtiges Thema. Die Bundesbürger wollten mit ihren Familien auch weite Strecken in den Urlaub fahren und weder beim Gepäck noch den Insassen Einschränkungen hinnehmen. Deswegen fasste der Kofferraum 600 Liter (nach VDA-Norm) und die Karosserie des 4,42 Meter langen VW K70 sorgte mit einem 2,69 Meter langen Radstand für damals fürstliche Platzverhältnisse, die mit denen des VW Käfers und des VW 1600 nicht mehr zu vergleichen waren. Zum luftigen Gefühl trug die kantige Karosserie mit den großen Glasflächen bei.

Kunden mussten 10.000 Mark auf den Tisch legen

Komfort wurde beim VW K70 großgeschrieben. Schließlich kostete die viertürige Limousine mit 55 kW / 75 PS schon im Jahr 1971 mindestens 9.450 D-Mark (ca. 4.832 Euro) und die von uns gefahrene L-Variante immerhin 9.790 D-Mark (5.006 Euro). Bereits die Basisversion des K 70 ist für die damalige Zeit sehr gut ausgestattet. Bei der „L“-Version, freuten sich die Passagiere über Annehmlichkeiten, wie eine Kofferraumbeleuchtung, ein abschließbares Handschuhfach, eine Liegesitzverstellung für die vorderen Sitze, Teppichboden statt Nadelvlies und Sonnenblenden mit Schminkspiegel. Wer etwas mehr Kraft wollte, griff zur 195 D-Mark teureren 66 kW / 90 PS-Version und einer Höchstgeschwindigkeit von 158 km/h. Im Jahr 1973 legte VW beim K70 leistungsmäßig noch eine Schippe drauf und schickte das Topmodell mit 74 kW / 100 PS auf die Straße. Allerdings erwiesen sich die klaren kantigen Formen mit einem Cw-Wert von 0,52 in Zeiten der Ölkrise als schwierig. Zudem machte der VW Passat ab 1973 dem K70 das Leben zunehmend schwerer. Im Jahr 1975 lief dann der letzte von insgesamt 210.891 gefertigten K70 vom Band.

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