Autozulieferer in der Krise – Der Stellenabbau geht los

Die Krise fängt erst an

Autozulieferer in der Krise – Der Stellenabbau geht los: Die Krise fängt erst an
Erstellt am 6. Oktober 2020

Die deutsche Autoindustrie steht unter mächtigem Druck. Nicht nur die Autohersteller werden in den kommenden Jahren zehntausende von Stellen abbauen. Auch viele Autozulieferer sind ernsthaft in Gefahr, denn die Krise hat gerade erst begonnen.

Wer meint, dass die Corona-Pandemie die deutsche Autoindustrie ins Wanken bringt, irrt gewaltig. Einige der Probleme wurden von dem weltweiten Virus nur stark beschleunigt und schneller ans Tageslicht gebracht. Aber neu sind die Probleme nicht, und dass die internationale Autoindustrie deutlich zu viele Personen eine berufliche Heimat gibt, ist ebenfalls nicht neu. Experten gehen davon aus, dass langfristig 20 bis über 30 Prozent der Mitarbeiter abgebaut werden könnten, ohne dass dies nennenswerte Auswirkungen auf Entwicklung und Fertigung hätte. Das Hauptproblem ist nicht die Pandemie, sondern die neuen Gesellschaftsstrukturen und eine speziell in Europa und Deutschland wenig autofreundliche Politik.

Immer strengere Grenzwerte für Abgas, Zurückdrängung der Autos aus den Innenstädten, Hybrid- und Elektroquoten setzen das einst liebstes Kind der Deutschen mächtig unter Druck. Ein Ende ist kaum abzusehen und da kommt die Corona-Krise als Entschuldigung für die eine oder andere, schon lange überfällige Entlassungswelle gerade recht.

Doch bereits seit Jahren ist die einst so heile Welt der Automobilzulieferer aus den Fugen geraten. Vorbei die Zeiten, zu denen man mit gesicherten Absatzzahlen milliardenschwere Deals mit den OEMs abschloss. Im Zuge der Corona-Krise geht die Angst um, selbst große Unternehmen wie Bosch, Schaeffler oder Continental wackeln. Als wenn die Transformation der Branche in die Elektromobilität nicht schon genug sei, kommt jetzt noch eine Pandemie hinzu, die die weltweiten Geschäfte lähmt und einigen Zulieferern über kurz oder lang das Genick brechen könnte. Problem dabei: die Autos werden mittlerweile zu großen Teilen nicht bei den Autoherstellern entwickelt, sondern zu großen Teilen bei den nationalen wie internationalen Zulieferern.

Die Schreckensmeldungen reißen nicht ab. Im Juni verkündete Bosch, dass das Werk für Lenksysteme in Bietigheim am Ende des Jahres 2021 die Pforten schließt. Rund 290 Jobs stehen auf der Kippe. Noch versucht der Tier-1-Zulieferer, die Folgen der Wirtschaftskrise abzumildern und den Stellenabbau möglichst sozialverträglich zu gestalten. Allerdings knirscht es an allen Ecken und Enden. In Schwäbisch Gmünd, wo ebenfalls Lenksysteme gefertigt werden, sollen bis Ende 2026 etwa 1.850 Stellen gestrichen werden. Die Arbeitnehmervertreter gehen auf die Barrikaden, ändern wird das wenig. Schon 2019 liefen die Geschäfte bei Bosch schlechter. Die COVID-19-Pandemie hat die Entwicklungen nur noch verstärkt. „Wie andere Unternehmen auch, stellt insbesondere der strukturelle Wandel in der Automobilindustrie Bosch vor große Herausforderungen. Diese verschärfen sich zudem im Zuge der weltweiten Corona-Krise“, so ein Sprecher des Unternehmens.

Der schwäbische Zulieferer-Gigant ist nicht der einzige, der durch die Krise in den Grundfesten erschüttert wird. Fast täglich brennt es an einer anderen Stelle, selbst heilige Kühe sind nicht mehr sicher. Bei Continental soll die Reifenproduktion in Aachen geschlossen werden. Das schwarze Gold galt eigentlich als das Aushängeschild des Konzerns. Räder werden schließlich immer gebraucht, egal bei welchem Vehikel und welchen Antrieben. Zieht Continental das Vorhaben durch, sind 1.800 Stellen betroffen. Schon vor dem Ausbruch der Pandemie war klar, dass die Umstellung auf die Elektromobilität nicht ohne größere „Arbeitskraft-Kollateralschäden“ über die Bühne gehen würde. Gemeinhin rechnete man damit, dass Continental rund 30.000 der 230.000 Angestellten vor die Tür setzen müsse – davon 14.000 in Deutschland. Als wenn das nicht hart genug wäre, kommt jetzt noch ein Molotow-Cocktail namens COVID-19 als Brandbeschleuniger hinzu.

Die Zahlen zeichnen ein erschreckendes Bild, das stellvertretend für die ganze Branche gilt. Der Continental-Konzernumsatz brach im zweiten Quartal um 40 Prozent ein. Vorstandsvorsitzender Dr. Elmar Degenhart, wählte drastische Worte: „Einen Markteinbruch in der Automobilindustrie, wie wir ihn derzeit erleben, gab es seit Ende des Zweiten Weltkriegs nicht mehr.“ Der Mutterkonzern Schaeffler steckt ebenfalls im verhängnisvollen Strudel und hat bekanntgegeben, bis Ende 2022 weitere 4.400 Stellen abzubauen. Bei Mahle sollen weltweit 7.600 Stellen abgebaut werden, davon rund 2.000 in Deutschland.

Noch versuchen alle Beteiligten, mit Unterstützung der Bundesregierung das System am Laufen zu halten. Doch Staatshilfen oder das Aussetzen der Insolvenzantragspflicht während der Coronakrise sind nur ein Tropfen auf den heißen Stein und lösen die grundsätzlichen Probleme nicht. Es hat den Anschein, als wenn alle versuchen, gegen die Strömung zu rudern, wenn das Rauschen des hundert Meter tiefen Wasserfalls schon ohrenbetäubend ist. Das dicke Ende ist nur aufgeschoben. „Die Corona-Erleichterungen liefen überwiegend Ende September aus. Nun sind Geschäftsführer zahlungsunfähiger Unternehmen wieder verpflichtet, Insolvenzanträge zu stellen. Ich erwarte daher, dass spätestens Ende des Jahres wieder mehr Unternehmen Insolvenz anmelden müssen, darunter sicherlich auch Autozulieferer“, erklärte der Fachanwalt und Spezialist für Insolvenzrecht Martin Mucha gegenüber der „WirtschaftsWoche“.

Während die Großen noch versuchen, sich gegen die Talfahrt zu stemmen und mit Sozialplänen und Zuschüssen das Schiff über Wasser zu halten, geht kleineren Zulieferern die Puste aus. Wafa Germany (Augsburg), Hersteller galvanisierter Kühler und Zierleisten, wird voraussichtlich Ende des Jahres die Produktion einstellen und somit etwa 200 Arbeitsplätze streichen. Das dürfte erst der Anfang sein. Jetzt schon wird der Ton rauer und jeder ist sich selbst der nächste, und viele kleinere Unternehmen werden Wafa Germany vermutlich auf dem steinigen Weg in die Insolvenz noch folgen. Der Ausblick ist für die gesamte Branche alles andere als rosig. ZF-Chef Wolf-Henning Scheider spricht Klartext: „Mit den Nachwirkungen der Corona-Pandemie werden wir uns bei ZF mindestens drei Jahre beschäftigen müssen. Die Märkte werden noch länger brauchen, bis sie wieder auf den Höchststand von 2018 kommen. Bei manchen Märkten habe ich Zweifel, ob jemals wieder solche Spitzenwerte verzeichnet werden. In China läuft es im Moment sehr gut, aber in Europa bin ich nicht so sicher, ob selbst bis 2025 wieder das Niveau des Jahres 2018 erreicht werden kann. Die gesamte Autoindustrie hat einige schwere Jahre vor sich.“

Wolfgang Gomoll; press-inform

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