Stellenabbau in der deutschen Autoindustrie lässt Fachkräfte zu Rheinmetall & Co. wechseln

Vom Pkw zum Panzer: Automobil-Ingenieure wandern in die Rüstungsindustrie ab

Stellenabbau in der deutschen Autoindustrie lässt Fachkräfte zu Rheinmetall & Co. wechseln: Vom Pkw zum Panzer: Automobil-Ingenieure wandern in die Rüstungsindustrie ab
Erstellt am 3. Dezember 2025

Die deutsche Automobilindustrie steckt in einer tiefgreifenden Krise: Stellenabbau, Werksschließungen und Sparprogramme bestimmen das Bild. Allein bis Ende 2025 sank die Beschäftigtenzahl in der Branche um rund 48.700 auf 721.400 – der stärkste Rückgang unter allen großen Industriebranchen. Besonders hart trifft es Zulieferer: Hersteller von Kraftwagenmotoren, Karosserien und Teilen verlieren Zehntausende Arbeitsplätze. Große Konzerne wie Volkswagen, Bosch und ZF Friedrichshafen planen langfristige Reduzierungen von bis zu 35.000 Arbeitsplätzen, während Werksschließungen wie bei Schaeffler in Steinhagen weitere Stellen kosten.

Doch während die Autoindustrie schrumpft, boomt die Rüstungsindustrie. Konzerne wie Rheinmetall, Diehl, Hensoldt und Thyssenkrupp Marine Systems steigerten 2024 ihre Umsätze laut SIPRI um insgesamt 36 Prozent auf 14,9 Milliarden US-Dollar. Rheinmetall profitierte besonders stark: 47 Prozent Plus auf 8,2 Milliarden US-Dollar und Platz 20 in der weltweiten Rangliste. Getrieben wird das Wachstum von globalen Konflikten in der Ukraine und dem Gazastreifen sowie allgemein steigenden Verteidigungsausgaben. Eine Entspannung ist nicht in Sicht – und damit auch keine Entspannung für den Arbeitsmarkt.

Für die vom Stellenabbau betroffenen Autoingenieure eröffnet sich ein neues Feld: Die Rüstungsbranche sucht händeringend nach qualifizierten Fachkräften in Produktion, IT und Ingenieurwesen. Wer heute bei BMW, Volkswagen oder Bosch seinen Vertrag verliert, findet immer häufiger schon einen neuen Arbeitsplatz bei Rheinmetall, Hensoldt oder KNDS. „Die Rüstungsindustrie wird zum Auffangbecken für Zehntausende Beschäftigte, die ihren Arbeitsplatz in der Autoindustrie verlieren“, erklärt Harald Müller, Geschäftsführer der Bonner Wirtschafts-Akademie (BWA), die zahlreiche Transfergesellschaften betreut.

Die Dimensionen sind beeindruckend: Während 2026/27 in der Auto- und Zulieferbranche bis zu 100.000 Stellen wegfallen könnten, entstehen gleichzeitig ähnlich viele neue Arbeitsplätze in der Rüstungsindustrie. Damit könnten deutsche Ingenieure in wenigen Jahren zwischen Pkw und Panzer wechseln – ein Szenario, das schon historische Beispiele kennt. Ein ehemaliger Porsche-Ingenieur erinnerte sich, wie er in jungen Jahren an der Entwicklung des Kampfpanzers Leopard 2 beteiligt war. „Als echter Sportwageningenieur habe ich Alupedale eingebaut.“ Bei der Präsentation des Panzers geschah schließlich das Unvermeidliche: Der Fahrer stieg panisch auf die Bremse, das Pedal brach, und die Umrisse des Panzers waren durch ein Loch in der Wand zu erkennen.

Dieser Humor täuscht: Die Realität ist ernst. Ein Know-how-Aderlass in der Autoindustrie könnte angesichts der wachsenden Konkurrenz durch chinesische Hersteller fatale Folgen haben. Die besten Ingenieure werden lukrative Angebote der Rüstungsindustrie annehmen, um auf der sicheren Seite zu sein. Das IAB simulierte, dass bei Verteidigungsausgaben von rund drei Prozent des Bruttoinlandsprodukts bis zu 200.000 zusätzliche Arbeitsplätze entstehen könnten – viele davon in der Wehrtechnik.

Für die deutsche Wirtschaft ist dies ein zweischneidiges Schwert: Die Rüstungsindustrie profitiert von erfahrenen Fachkräften und expandiert, während die Autobauer ihre Innovationskraft und Marktposition gefährdet sehen. Ein Szenario, in dem die Autoindustrie ihren Vorsprung im globalen Wettbewerb verliert, erscheint denkbar, wenn Know-how und erfahrene Ingenieure künftig stärker in Panzern und Waffensystemen eingesetzt werden als in der Entwicklung neuer Elektroautos und autonomer Fahrzeuge.

Der Exodus der Ingenieure zeigt, dass Deutschland zwar Fachkräfte hervorbringt, diese aber zunehmend in Sektoren abwandern, die höhere Stabilität und lukrative Perspektiven bieten. Während BMW, Volkswagen und Bosch weiterhin sparen, investieren Rüstungskonzerne wie Rheinmetall in ihr Personal und sichern sich damit die wertvollen Köpfe der Branche. Die Krise der Autoindustrie wirkt sich somit nicht nur wirtschaftlich aus, sondern könnte langfristig auch die technologische Führungsrolle der deutschen Automobilhersteller schwächen.

Wolfgang Gomoll; press-inform

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