Unterwegs in der Tuningszene von Seoul

Pimp my Ride Korea-Style: Wie Südkoreas Tuner nachts ihre Autos sprechen lassen

Unterwegs in der Tuningszene von Seoul: Pimp my Ride Korea-Style: Wie Südkoreas Tuner nachts ihre Autos sprechen lassen
Erstellt am 18. Dezember 2025

Tagsüber sind die Autos auf Seouls Straßen grau. Doch wenn es Nacht wird in der koreanischen Metropole, legen viele ihre Scheu ab und zeigen sich – und ihre Fahrzeuge – von einer ganz anderen Seite.

Es ist kurz nach zehn Uhr abends am Ufer des Han-Flusses. Kleine Kreuzfahrtschiffe, hell erleuchtet mit Lichterketten, gleiten über das Wasser. Am Ufer sitzen Menschen an Tischen und schlürfen Fertigsuppen aus den kleinen Läden entlang des Flusses. Praktisch. Die Brühe dampft, die Limo zischt, Kinder tollen umher. Plötzlich faucht unter der grauen Rippenstruktur einer nahen Brücke ein Kompressor in die hereinbrechende Nacht. Nur ein paar hundert Meter von dieser Idylle entfernt. Wer jetzt einen Ferrari oder McLaren mit zehn Zylindern erwartet, täuscht sich. Gewaltig ist der Sound trotzdem: Er stammt von einem Hyundai Ioniq 5, der mit monströsem Diffusor und Rostfolierung auf den Parkplatz rollt.

20 Bilder Fotostrecke | Unterwegs in der Tuningszene von Seoul: Wie Südkoreas Tuner nachts ihre Autos sprechen lassen #01 #02 Im Vergleich zu Tuningszenen anderer Länder geht es hier asiatisch zurückhaltend zu. Keine Burnouts, keine Donuts, keine sinnlose Zerstörung fremder Technik. Hier geht es weniger um Krawall, mehr um die feine Klinge – selbst wenn ein riesiger Pickup mit YKR-Bodykit zunächst anderes vermuten lässt. Langsam verändert sich das Bild auf dem Parkplatz: Familienkutschen verschwinden, die Tuning-Gemeinde übernimmt das Kommando. „Manche sind drei Stunden gefahren, um hierherzukommen“, sagt Dong-gyu Kim, Organisator des Treffens, den alle nur D.K. nennen. Und das an einem Montag. In vielen Ländern undenkbar – ein Zeichen für den Enthusiasmus der südkoreanischen Tuningfans. Statt „Cars & Coffee“ heißt es hier Nudelsuppe und Brause.

Tagsüber wirkt Südkorea wie eine Blaupause für Autokonformität. Weiß, Grau und Schwarz dominieren – Farben, die Wiederverkaufswerte sichern. Die Tuner leben ihre Leidenschaft nachts aus. Aus gutem Grund: „Jeder mit Dashcam meldet ein Auto mit Spoiler sofort bei der Polizei“, erklärt D.K. Neun von zehn Autos tragen dieses elektronische Auge. Die Szene nimmt es gelassen. Leistung wird unter Serienoptik versteckt oder ein kleiner Aufkleber in der Frontscheibe signalisiert: „legal“. Passanten sehen ein gepflegtes Auto, Kenner erkennen das Setup. Auffallen will trotzdem jeder – nur eben auf koreanische Art. Veränderungen sind oft „unsichtbar hübsch“: Airride statt Flügel, saubere Felgenbetten statt Spoiler in Plakatgröße.

Ein Musterbeispiel ist ein roter Ford Mustang in der zweiten Reihe. Aftermarket-Grill ohne Pony, Haubenhutze, dazu der Schriftzug „이도“ (Yi Do) auf dem Kühlergrill – der Geburtsname von König Sejong dem Großen. Für Nicht-Koreaner wirkt die Kalligrafie wie „612“, tatsächlich steht dort „i-do“. Am Heck prangt eine Plakette mit goldenem Drachen: Symbol für kaiserliche Macht, Stärke und Schutz. Kontrastprogramm dazu: ein Kia K5 mit Katzenohren auf dem Dach und schillernder Iridescent-Folierung.

Die Szene bleibt ruhig. Lee Changjun, 29, Hoodie, scheuer Blick, stolzer Besitzer eines pinken Kia Carnival. Nicht rosa, nicht magenta – sondern grelles Textmarker-Pink. „Damit er heraussticht.“ Der eigentliche Star ist das Luftfahrwerk: sauber verlegte Leitungen, polierte Tanks, zwei Monate Arbeit. Kostenpunkt: sechs- bis siebentausend US-Dollar. „20 Prozent vom Fahrzeugwert für Umbauten sind bei uns keine Seltenheit“, sagt Lee. Der Van senkt sich millimetergenau auf den Asphalt und steht da, als habe er nie höher gestanden.

Luftfahrwerke sind bei Pimp my Ride Korea-Style fast Pflicht. Kurz darauf rollt ein pastellgelbes Hyundai Genesis Coupé (BK-Facelift) auf den Platz. Sichtnieten, markanter Heckflügel, Deep-Dish-Felgen, deutlicher Negativ-Sturz. Auf Knopfdruck hebt und senkt sich das Fahrwerk. Hexagonaler Kühlergrill, Hauben-Vents – ein rollendes Kunstwerk. West Coast Customs hätten ihre Freude daran.

Und die Polizei? „Wir sind Nachteulen“, grinst D.K. „Wenn sie kommen, ziehen wir weiter.“ Auf öffentlichen Straßen gilt: Wer sich an die Regeln hält, bleibt unbehelligt. Einen TÜV wie in Deutschland gibt es nicht, aber strenge Vorschriften. Umbauten müssen genehmigt werden, legale Teile über die Korea Transportation Safety Authority (KOTSA). Vieles ist möglich – wenn man weiß, wie. Selbst ein Ölwechsel ist offiziell problematisch, weshalb die meisten Arbeiten Werkstätten übernehmen.

Ein paar Stellplätze weiter steht ein Lotus – oder doch nicht. Seth, ein US-Expat, erklärt: In den 1990ern verkaufte Lotus die Rechte am M100 an Kia. Heraus kam der Kia Elan mit Frontantrieb und koreanischem Motor. „Fährt anders als jeder Lotus, aber irgendwie richtig“, sagt Seth. In Seouls Nachtszene wirkt der Sonderling so selbstverständlich wie Kimchi zur Ramyun.

Wolfgang Gomoll; press-inform

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